In der Orientierungshilfe des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft für Schulen im Programm 21 (Modellversuch zur Bildung für nachhaltige Entwicklung) heißt es im Jahr 2007 zur Notwendigkeit von BNE: "Da sich nicht nachhaltige Entwicklungen aus der gegenwärtigen Wirtschaftsordnung, aus politischen Strukturen und globalen Verflechtungen, aber auch aus unserem individuellen Handeln und unseren derzeitigen Werten und Leitbildern ergeben, und sich nachhaltige Entwicklungsprozesse nur durch gemeinsame Zielsetzungen und Anstrengungen erreichen lassen, müssen alle ein Problem- und Handlungswissen bezüglich nachhaltiger wie nicht nachhaltiger Entwicklungsprozesse erwerben."
"Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE)" so Prof. Dr. Gerhard de Haan, Leiter der oben erwähnten Modellprogramme "21" und "Transfer 21, "ermöglicht es dem Individuum, aktiv an der Analyse und Bewertung von nicht nachhaltigen Entwicklungsprozessen teilzuhaben, sich an Kriterien der Nachhaltigkeit im eigenen Leben zu orientieren und nachhaltige Entwicklungsprozesse gemeinsam mit anderen lokal wie global in Gang zu setzen. Daher ist Bildung für nachhaltige Entwicklung ein wesentlicher Bestandteil der Allgemeinbildung."
Zentrales Lernziel der BNE ist der Erwerb von Gestaltungskompetenz. "Gestaltungskompetenz wird das nach vorne weisende Vermögen bezeichnet, die Zukunft von Sozietäten, in denen man lebt, in aktiver Teilhabe im Sinne nachhaltiger Entwicklung modifizieren und modellieren zu können." Mehr dazu weiter unten.
BNE stärkt – auf der Grundlage von Demokratie und Menschenrechten – die Entwicklung von Problembewusstsein und systemischem Denken. BNE verfolgt so den Anspruch, Menschen in die Lage zu versetzen, bei heutigen und zukünftigen Entscheidungen abzuschätzen, wie sich diese auf künftige Generationen sowie auf das Leben in anderen Regionen der Welt auswirken können. Fähigkeiten, mit Dilemmata und mit begrenztem Wissen umzugehen und mögliche Lösungswege zu erarbeiten, werden ebenso gestärkt wie Fähigkeiten des politischen und alltagspraktischen Handelns. Dies bildet eine notwendige Voraussetzung, um die gesellschaftliche Transformation hin zu einer nachhaltigen Entwicklung partizipativ gestalten zu können. Dabei sollen Bildungsprozesse so ausgerichtet werden, dass die Lernenden in ihrer Lebenswelt Handlungsoptionen erproben können – in ihren jeweiligen Rollen im sozialen Umfeld, in der Schule, am Arbeitsplatz sowie als Bürgerinnen und Bürger.
Schule als Bildungsinstitution ist also gefordert, sich nicht nur mit vorhandenen Problemen und Lösungsmöglichkeiten sondern auch mit der gesellschaftlichen Wertediskussion und den gesellschaftlichen Zielen auseinanderzusetzen. Die Schülerinnen und Schüler sollen befähigt werden, diesen Diskurs verstehen, bewerten und eine eigene Meinung bzw. Einstellung ausbilden zu können. Es wird keine Erziehung zu nachhaltigem Verhalten angestrebt, vielmehr sollen die Lernenden zu eigenständigen Urteilen und zu innovativem Handeln im Sinne der Nachhaltigkeit befähigt werden. In der schulischen Bildung geht es also nicht um eine Instrumentalisierung von Schülerinnen und Schülern für politische Ziele, insbesondere auch deshalb nicht, weil die konkreten Ziele nachhaltiger Entwicklung oder auch die Dringlichkeit von diesbezüglichen Aktivitäten in der Gesellschaft nach wie vor kontrovers diskutiert werden. BNE hingegen verbindet Wissenserwerb mit dem Diskurs um Werte und Ziele der Gesellschaft und befördert den Kompetenzerwerb zum Umgang mit dem gesellschaftlichen Wandel.
Themen und Methoden der BNE
Ob man im Deutschunterricht die Textsorte "Erörterung" am Beispiel des Themas "Fleischkonsum ja oder nein?" bearbeitet oder im Politik- oder Religionsunterricht die Frage der ethischen Verantwortung des Individuums für ökologischen Konsum thematisiert, selbst angebaute Kräuter aus dem Schulgarten im Hauswirtschaftsunterricht nutzt oder fair gehandelte Fußbälle für den Sportunterricht beschafft, ... es ist überhaupt nicht schwierig, vielfältige Anknüpfungspunkte zwischen den Anforderungen schulischer Bildung, der konkreten Lebenssituation der Schülerinnen und Schüler und dem Nachhaltigkeitsdiskurs zu finden. Das gilt für jedes Unterrichtsfach sowie für überfachliche Konzepte wie das Globale Lernen, die politische Bildung, Friedenserziehung, Medienbildung, das interkulturelles Lernen, für die Verbraucherbildung oder das soziale Lernen.
Im Sinne des Nachhaltigkeitsleitbilds geht es um einen multiperspektivischen Blick auf die Themen im Unterricht: um ökologische, ökonomische und soziale Aspekte. So wären beim Thema "Nahrungsmittel aus fairem Handel am Beispiel der Banane" nicht nur die Arbeitsbedingungen und Einkommen von Landarbeiterinnen und Landarbeitern in Entwicklungsländern zu thematisieren (soziale Aspekte) sondern auch die Handelswege und –bedingungen sowie die Preisbildung (ökonomische Aspekte), aber z. B. auch die Pestizidverwendung und die Gefahren des Anbaus in Monokulturen (ökologische Aspekte).
Nicht fehlen sollten Handlungsoptionen, welche den Schülerinnen und Schülern Gelegenheit bieten, eigene Ideen einzubringen, Gestaltungsmöglichkeiten auszuprobieren und damit Selbstwirksamkeit erfahren zu können. Um beim obigen Beispiel zum Thema Fairer Handel zu bleiben: Bieten eigentlich Schulkiosk und/oder Mensa Produkte aus fairem Handel an? Könnte so etwas ein anzustrebendes Ziel für die Schule sein? Schmecken Fairtrade-Produkte eigentlich gut? Ist der Pächter oder die Pächterin gegebenenfalls bereit, fair gehandelte Waren ins Sortiment aufzunehmen? Was sagen die "Kunden", also die Schülerschaft insgesamt, zu solch einer Idee? In einem derartigen Lernarrangement/Setting bieten sich vielfältige Methoden an, die partizipatives, forschendes, soziales und kooperatives Lernen ermöglichen, welche für den Erwerb von Gestaltungskompetenz als grundlegend angesehen werden.
Fachunterricht und Schulleben bieten vielfältige Gelegenheiten, Themen unter Nachhaltigkeitskriterien zu behandeln, Projekte anzustoßen und sogar die Schule selbst als Institution unter die Lupe zu nehmen. Die Kernlehrpläne der Fächer stehen dem in keiner Weise entgegen, einige fordern eine solche Behandlung sogar explizit.
Gerne können Sie als interessiertes Lehrerkollegium auch die in diesem Bildungsprogramm angebotenen Fortbildungen wahrnehmen und/oder die unterstützende Schulbegleitung nutzen (siehe ab S. 71).